Einzelhandel in der Corona-Krise: Lehren & Tipps für die Zukunft
Neue Shop-Formate sind gefragt
Showroom statt Mega-Store, Online-Shop statt voller Lager – die Corona-Pandemie bietet auch Chancen für den kriselnden Einzelhandel, meinen Branchenexperten. Weitermachen wie bisher geht nicht, dafür ist der wirtschaftliche Druck nach monatelangen Lockdowns zu groß. Wer jetzt mit kreativen, flexiblen Konzepten reagiert, könnte gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Verschiebung zugunsten des Online-Handels
Nach der Corona-Pause blickt der Einzelhandel in eine ungewisse Zukunft. Niemand weiß, wie die „neue Normalität“ für Händler und Kunden aussehen wird. Fakt ist, der praktisch weltweite Corona-Lockdown hat tiefgreifende Änderungen angestoßen. Noch ist es zu früh, die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf das Kaufverhalten vorherzusagen. Einige Folgen der Ausgangsbeschränkungen sind aber bereits sichtbar: so ergab eine Untersuchung des französischen Beratungsunternehmens CapGemini, dass vor der Corona-Pandemie 59 Prozent der Verbraucher weltweit eine enge Beziehung zu stationären Ladengeschäften hatten, nach Covid-19 sind es nur noch 24 Prozent. Im Gegensatz dazu hat sich der Prozentsatz jener Verbraucher erhöht, die ein hohes Maß an Interaktion mit dem Online-Handel haben: von 30 Prozent vor der Corona-Krise auf jetzt 37 Prozent. Dieser Trend in Richtung Online-Kauf werde sich in den kommenden sechs Monaten noch verstärken, vermuten die Marktanalysten von CapGemini.
Verschlankung des Filialnetzes
Während die Verschiebung in Richtung Online-Handel offensichtlich ist, stellt sich dennoch die Frage, wie Einzelhändler mit der neuen Situation umgehen sollen. Geschäftsaufgaben und Ladenschließungen werden Teil der Lösungen sein, daran besteht kein Zweifel: „Angesichts der anhaltenden Pandemie sind Einzelhändler jetzt mit der harten Realität konfrontiert, ihre Bilanz zu stabilisieren und gleichzeitig Pläne zu schmieden, um sich auf langfristige Veränderungen der Nachfrage und der Verkaufskanäle einzustellen“, meint Robin Bevan, Europachef der Unternehmensberatung Accenture: Auch gut positionierte Einzelhändler müssten möglicherweise Geschäfte mit schlechter Leistung dauerhaft schließen und drastische Maßnahmen zur Kostensenkung ergreifen. So haben bereits mehrere große europäische Einzelhandelsketten wie der schwedische Modekonzern H&M angekündigt, nicht alle Filialen wieder zu eröffnen.
Chance für neue Shop-Formate
In der Krise könnte aber auch eine Chance für den Einzelhandel stecken, gibt Mathias Ullrich vom Stuttgarter Markenspezialisten Liganova zu Bedenken: „Ist der Megastore-Ansatz nach COVID-19 noch zukunftssicher?“, so die grundlegende Frage. Oder sei dies eine Gelegenheit, den Fußabdruck zu diversifizieren und eine Mischung aus Geschäftsformaten einzubeziehen, die von Flagship-Stores bis hin zu Shop-in-Shop- oder Pop-up-Store-Konzepten reichten? So würden Händler von einer höheren lokalen Kundennähe profitieren und könnten Mikrosegmente effizienter ansprechen. Es sei beispielsweise denkbar, Ladengeschäfte mit Showroom-Charakter zu betreiben, die weniger mit Produkten überfüllt sind – und Bestellungen über den Online-Shop abzuwickeln.
Auch Jessie Qian, Leiterin der Verbraucherabteilung beim chinesischen Beratungsunternehmen KPMG glaubt an die Entwicklung neuer Shopping-Formate im Einzelhandel: „In der Post-Covid-19-Umgebung werden die Verbraucher mehr Wert auf Komfort und Sicherheit legen. Während der Quarantäne haben wir Marken und Einkaufszentren gesehen, die WeChat-Miniprogramme, soziale Online-Gruppen und Live-Streaming-Videos verwendeten, um Verbraucher über neue Kanäle zu erreichen, ohne dass Fußgängerverkehr erforderlich war.“ Der Fokus liege mittlerweile auf den Kundendaten, die für den Einzelhandel ein wichtiges und wertvolles Gut darstellten, so Qian.